"WIRKLICHKEIT"

als etwas Wirkliches und Seinkönnen
meint immer eine Einheit (5) von

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2
5
3
4
II
1
Materie
Raum
Schöpfung
Lebenswelt
Lebewesen
2
Geschichte
Zeit
Möglichkeit
Information
Handeln
5
Realität
Notwendigkeit
Sosein
Verständigung
Existenz
3
Theorie
Horizont
Identität
Sprache
Denken
4
Erfahrung
Situation
Verantwortung
Sinn
Bewußtsein

 


Über die Bedeutung der Wirklichkeit

Wenn immer sogenannte Philosophen von heute oder gestern das Wort "wirklich" für sich in Anspruch nehmen, das außerhalb der deutschen Sprache so keine Entsprechung findet, verwenden sie es entweder im Sinn einer subjektiven Affirmation, die nicht weiter begründet ist, oder aber als ein Argument, das nur im Rückgang auf des Autors eigene Philosophie begründet werden kann. Aber wer sagt, daß des Autors eigene Philosophie sich so auf "Wirklichkeit" bezieht, daß keine offfene Fragen bleiben? Es hat sich ja, was zu zeigen ist, bis heute noch kein Philosoph dem Sinn von Wirklichkeit als einem Letztbegriff explizit gestellt.
Die folgenden Erläuterungen versuchen analytisch zu zeigen, was wir mit "Wirklichkeit" so meinen, daß jeder die Chance hat, zu widersprechen. Es gibt schwerlich ein substantielles Argument, das die These widerlegt, daß der Sinn von "Wirklichkeit" auf irgend etwas sonst noch reduziert werden kann. Aber was sind die deduktiven Bedingungen, die es uns erlauben, intersubjektiv evident von einer Bedeutung der Wirklichkeit zu sprechen? Läßt sich "Wirklichkeit" überhaupt zweifelsfrei definieren?

Das Argument

"Wirklichkeit" (im deutschen Wortsinn) allein ist nicht mehr hinterfragbar, weil ein "Nichtwirkliches" einzigartig unnegierbar ist: Entweder die Negation der Wirklichkeit ist etwas Wirkliches im außerwirklichen Sinn - was immer das sein mag - , oder aber sie ist sinnwidrig: Etwas Unwirkliches ist entweder etwas, was mit "Wirklichkeit" keinerlei Gemeinsamkeit hat, oder es ist einfach ein Selbstwiderspruch, weil auch das Nichtwirkliche irgendwie wirklich sein muß, um überhaupt etwas zu sein. Wie soll auch etwas, dessen Wirklichkeit bestritten wird, irgendwie etwas anderes sein können, als ein so oder so Wirkliches? Wenn Nichtwirkliches kein Wirkliches mehr wäre, müßte Wirklichkeit hinterfragbar sein. Welche Möglichkeit aber haben wir, die Wirklichkeit der Wirklichkeit so zu hinterfragen, daß dabei auf etwas Bezug genommen werden könnte, das hinter der Wirklichkeit überhaupt liegt, weil es glaubhafter Weise wirklicher ist als die Wirklichkeit?

Die Alternativen

Nur "Wirklichkeit", (im, deutschen Sprachgebrauch) ist nicht mehr ohne Selbstwiderspruch hinterfragbar, beim "Sein" bleibt immer noch ein "Nichts", an dem sich z.B. Martin Heidegger sein Leben lang abgearbeitet hat. Bei "Wahrheit" gibt es jederzeit die Unwahrheit, die nicht wegdiskutiert werden kann. Vorstellen kann man sich außerdem eine Welt, die leer ist, eine Ereignishaftigkeit, die still steht, eine Intersubjektivität, die Irrational wird und eine Subjektivität, die verschwindet, ganz abgesehen von einer Realität, der die Irrationalität entgegensteht, von einer Notwendigkeit, die das Mögliche nicht ausschließen kann und einer Gegebenheit, die immer mit dem Abwesenden rechnen muß. Es gibt keinen weiteren Begriff als "Wirklichkeit", weil alles, was überhaupt "ist", d.h. als ein "Etwas" identifiziert werden kann, igendwie in die Wirklichkeit tritt, und sei es auch nur in die des bloß Gedachten. Alles Gedachte ist jeweils wirklich in seinem Dasein. So auch alles, was heute postmodern irgendwie als Unhintergehbarkeit von Differenz beschworen wird: Es gibt keine Differenz, die sich nicht schon zuvor einem Wirklichen verdankte!
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Die Beweislast (1)
Opponent

der Opponent, der die These, der Sinn von "Wirklichkeit" sei als Begriff nicht mehr hinterfragbar, bezweifelt, muß etwas nachweisen, was Wirklichkeit konstitutiv implizieren kann. Logisch heißt das. daß die Bedeutung eines Begriffs gefunden werden muß, die inhaltlich weiter ist als jene, die mit dem Wort "Wirklichkeit" verknüpft ist Solange diese Begriffsbedeutung nicht gefunden ist, bleibt es bei "Wirklichkeit" als dem Letztbegriff. Methodisch gilt in diesem Fall Poppers Falsifikationsprinzip, insofern es vom schlechthin Unbedingten niemals eine notwendigerweise bedingte Verifikation oder theoretische Ableitung geben kann, immer nur die Suche nach dem Selbstwiderspruch in seiner Behauptung.

Die Beweislast (2)
Proponent

Umgekehrt trägt der Proponent der These, die Wirklichkeit sei nicht mehr hinterfragbar, die Beweislast dafür, was mit dem Wort "Wirklichkeit" in einem intersubjektiv evidenten Sinn gemeint ist, wenn diese nicht mehr hinterfragbar sein soll. Denn als unhinterfragbar kann alles überhaupt und dementsprechend auch nichts eindeutig Bestimmtes vorgestellt oder unterstellt sein, wenn nicht zugleich genau angegeben werden kann, was in einem spezifischen Sinn mit "Wirklichkeit = Alles" gemeint ist. Wenn "Wirklichkeit" nicht mehr hinterfragbar ist, dann muß auch zugleich angegeben werden können, als was "Wirklichkeit" nicht mehr hinterfragbar ist, wenn die Behauptung überhaupt eine sein soll, weil sie auf etwas Bestimmtes bezogen werden kann. Insofern ist das Argument, die Wirklichkeit sei nicht hinterfragbar, nur stimmig, wenn zugleich angegeben wird, was mit "Wirklichkeit" sinngemäß so gemeint ist, daß nachvollzogen werden kann, von was überhaupt in einem identifizierbaren Bezug die Rede ist.
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Der Beweisgang

Wirklichkeit, die nicht mehr hinterfragbar ist, meint alles das, was unser Vorstellungsvermögen von Wirklichem konstituiert. Was überhaupt für uns wirklich werden kann, ist etwas Bestimmtes, das einer Einheit entspricht. Als Inbegriff dieser Einheit setzen wir einmal die Welt als den Ort der Wirklichkeit, denn ohne sie wüßten wir überhaupt nicht, wovon überhaupt zu sprechen sei. Wir müssen aber auch das Subjekt als den Adressat der Wirklichkeit voraussetzen, denn ohne es bliebe ganz offen, was "Welt" bedeuten soll. Wir müssen auch das Ereignis als den Vorgang der Wirklichkeit unterstellen, denn ohne ein solches, könnte kein Subjekt in seiner Welt von einem Objekt Kenntnis haben. Wir müssen weiter Intersubjektivität als Repräsentation von Wirklichkeit annehmen, denn ohne diese, z.B. Wort, Sinn und Begriff von "Wirklichkeit" könnte nichts, was sich in der Welt ereignet, für unteschiedliche Subjekte identisch mitteilbar und verständlich erörterbar werden.

Wir müssen schließlich das Sein als die identisch denkbare Einheit der genannten Wirklichkeitsaspekte voraussetzen, denn ohne die Identifierbarkeit von etwas, das "ist", gäbe es keine Möglichkeit, in der Fülle der Begebenheiten und Gegebenheiten zwischen "wahr" und "falsch" zu unterscheiden. Das, was "ist", ist die Wirklichkeit in einem für uns identifizierbaren und deshalb auch vergleichbaren und entscheidbaren Sinn. Was nicht identifizierbar ist, kann wirklich sein, aber nicht so, daß wir uns damit rational auseinandersetzen könnten. Das "Sein" der Wirklichkeit ist die im Begriff gefasste Wirklichkeit überhaupt als das Allgemeine jenes Wirklichen, wie es vorgängig konkret z.B. Forschern im innerweltlichen Erkenntnisprozeß begegnet, Handelnden in ihren situationsbezogenen Entscheidungsprozessen, Erlebenden in ihren eigenen seelischen Zuständen oder Mitwesen in ihren unerschiedlichen kommunikativen Erfahrungen. Daß das je konkrete Wirkliche allgemein gedacht werden kann, so daß wir von "der Wirklichkeit" handeln können, verdanken wir unserer Fähigkeit, das Sein von etwas wie allem zu begreifen. Die Wirklichkeit ist immer für uns Sein, aber eben nicht nur. Wirklichkeit wird uns zum Sein, wenn wir sie objektivierend denken, sie bleibt ursprünglich unbegreiflich gegeben, wenn wir das Denkbare unmittelbar erfahren.

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Letzte Änderung dieser Seite: 02.05.2003